Auf der Suche nach einer Sprache für die Gewalt

Carolina Bianchi verarbeitet in "The CADELA FORÇA TRILOGY" ein persönliches Trauma. Ihre Inszenierung ist explizit, vor allem sucht sie aber eine Sprache für die Gewalt.

Interview: Luise Otto 

Der Titel deines Stücks lautet "The CADELA FORÇA TRILOGY". Cadela ist im Portugiesischen ein abschätziger Begriff für "läufige Hündin" und força heißt so etwas wie Kraft. Was bedeutet dieser Gegensatz für dich? 
Carolina Bianchi: Der Titel ergibt keinen Sinn. Es ist also wirklich etwas, das nicht zusammenpassen soll. Aber da wir über sexuelle Gewalt sprechen, über etwas, das überhaupt keinen Sinn hat, ist dieser Widerspruch wie eine Reflexion über etwas, für das wir keinen Sinn finden können. Ich denke, das ist sozusagen die Logik, die diese Trilogie leitet. Es gibt Teile, die nicht so recht zusammenpassen, und es gibt diese Suche nach einer Sprache, um etwas auszudrücken, das nicht erklärt werden kann.

Carolina Bianchi (c) Alexandre Quentin
Ich denke, mein Schreiben ist der Kern von allem.

Welche Bedeutung hat die Kombination der einzelnen Texte für dich?
Ich bin besessen von Literatur, von Worten, von Poesie, darum sind diese Einflüsse natürlich mit drin. Ich stehe in dem Stück mit vielen Künstler*innen im Dialog, und es ist wichtig, dass diese Einflüsse präsent sind, manchmal mit Worten, manchmal mit Bildern. Aber der Kern, die Konstruktion des Textes ist von mir. Ich denke, mein Schreiben ist der Kern von allem.
Der erste Teil der Show ist wie eine Lecture Performance. Der Schreibprozess ist für mich eine Recherche. Ich arbeite wie ein Detektiv.

Wie gehst du mit der Darstellung von Gewalt in deiner Arbeit um? Welche Funktion hat sie für dich?
Die Gewalt in diesem Werk zeigt sich auf eine sehr konkrete und obszöne Weise. Ich zeige die Gewalt nicht in Bildern. Sie geschieht durch Worte, durch Erzählung. Ich denke, in der Arbeit geht es darum, eine Sprache zu finden. Sie ist der Versuch, über all diese Gewalt zu sprechen. Für mich ist es fast so, als wäre es die ständige Präsenz von etwas, das immer wieder seine Form verändert. Ich renne dem nach und versuche, Worte dafür zu finden. Das ist fast wie eine Obsession.

The CADELA FORÇA TRILOGY (c) Christophe Rayna

Mit welchen Herausforderungen bist du bei den Proben für dieses Stück konfrontiert? 
Wow, viele. Erstens, der Mangel an Geld. Und wie man so ein Stück mit großer Besetzung, komplexen Themen und einer internationalen Gruppe auf die Beine stellt. Das war ein sehr herausfordernder Prozess, denn wir kommen aus einem sehr unabhängigen Theaterkontext. Mitten in diesem Prozess begann ich zu entdecken, dass ich etwas sehr Persönliches in die Arbeit eingebracht habe, vielleicht zum ersten Mal. Das war nicht geplant.

Was war der ursprüngliche Plan?
Ich war immer mehr an der Poesie interessiert, wollte wirklich in die Literatur eintauchen. Aber plötzlich wurde mir klar, dass es ein Problem mit meinem Gedächtnis gibt, das mit einer persönlichen Erfahrung, einem persönlichen Trauma zusammenhängt. Ich verstand, dass es wirklich wichtig für mich war, mich damit auseinanderzusetzen. Und es geht nicht nur um mich, es geht darum, daraus etwas Größeres zu machen.

Das Stück tut mir nicht weh. Die Realität tut das, die Realität zerstört mich, aber das Theater nicht.

Es gibt Stellen, an denen es wirklich explizit und real ist. Zum Beispiel der Moment, in dem du K.O.-Tropfen nimmst. Wie hast du dich darauf vorbereitet?
Wenn ich auf der Bühne stehe, verursachen die K.O.-Tropfen in meinem Körper keinen Schmerz. Das Theater ermöglicht es mir, über diese Gewalt und dieses Trauma in einem ganz bestimmten Rahmen zu sprechen. Einem Rahmen, zu dem ich fähig bin. Es hat viele, viele Jahre gedauert, bis ich das benennen konnte. Das Theater ist meine Art zu kommunizieren. Ich würde also sagen, dass das Stück für mich nicht gewalttätig ist. Das Stück tut mir nicht weh. Die Realität tut das, die Realität zerstört mich, aber das Theater nicht.

The CADELA FORÇA TRILOGY (c) Christophe Raynaud

Es geht nicht nur um den Knockout-Teil. Weil das so explizit ist, spricht jeder über diesen Part. Ich denke aber, dass auch die Sprache und die Art und Weise, wie das Stück aufgebaut ist, Gewalt darstellt.
Ich benutze diese Frage in meinem Text: Ist es möglich, etwas zu schreiben, das gewalttätiger ist als der Akt der Vergewaltigung selbst? Für mich ist das eine wichtige Frage, denn ich weiß, dass der Text mit Sicherheit das Gewalttätigste an dem Stück ist. Es geht nicht nur darum, sich an einen Gewaltakt zu erinnern, sondern darum, ihn erzählen zu können. Ich will eine Sprache schaffen, um darüber zu sprechen. Aber wie? Wie sollen wir diese Geschichte erzählen, an die ich mich nicht erinnere?  

Wie verbindest du diese Performance-Kunst mit den dokumentarischen Episoden?
Die Geschichte der Performance-Kunst ist zum großen Teil von Frauen geprägt. Seit den Anfängen der Performance-Kunst setzen Künstlerinnen ihre Körper ein, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Ich bin keine Performance-Künstlerin, ich bin Theaterkünstlerin. Für mich geht es bei der Performance um Zeit. Sie passiert gerade jetzt im Augenblick. Im Theater gibt es das auch, aber das Theater verwendet Wiederholungen. Es ist also eine Verwirrung der Zeit, mit der wir arbeiten. Es ist dieser Baustein der Realität innerhalb des Stücks, den wir immer und immer wieder wiederholen.

Ich denke, Theater ist chaotisch und konfrontierend und bringt uns in eine sehr dunkle Welt, was schön ist, weil wir in dieser Dunkelheit manchmal Offenbarungen sehen.

Wo siehst du die Verantwortung als Regisseurin gegenüber dem Publikum und in Bezug auf die Darstellung von Gewalt auf der Bühne?
Jeder von uns weiß, wie es ist, Angst vor sexueller Gewalt zu haben. Das ist etwas, womit wir uns auseinandersetzen. Wir versuchen, Gewalt nicht auf eine Art und Weise zu fetischisieren, die dem Patriarchat Spaß machen würde. Wir versuchen, unsere eigenen Wege zu finden, Gewalt darzustellen. Auch wenn es manchmal nur darum geht, sie zu kopieren. Auch das hat einen Wert für uns.

Kann das Theater etwas wieder gut machen?
Das Theater repariert nichts. Das Stück sagt ganz klar: Es gibt keine Heilung für mich. Ich kann von diesem Trauma nicht geheilt werden. Das Theater hat nicht die Verantwortung, die Welt zu retten. Das ist nicht die Aufgabe des Theaters, meiner Meinung nach. Ich glaube nicht an die Rettung der Welt durch das Theater. Ich denke, Theater ist chaotisch und konfrontierend und bringt uns in eine sehr dunkle Welt, was schön ist, weil wir in dieser Dunkelheit manchmal Offenbarungen sehen. Und das ist für mich das, was ich am Theater liebe. Wenn es so provoziert, dass man nicht weiß, was man tun soll.

Trailer "The CADELA FORÇA TRILOGY"

Mehr zur Autorin

Luise Otto (c) Vitus Rettermeier

Luise Otto ist 20 Jahre alt und studiert Theaterwissenschaft an der LMU in München. Sie arbeitet im Kulturressort bei M94,5, dem Münchner Studierendenradiosender. Bei Radikal jung freut sie sich am meisten auf die Arbeit mit anderen jungen Erwachsenen und die Theaterabende, in denen junge Regisseur*innen das Theater für sich einnehmen.