Hendrik Quast und seine Darm-Bauchrednerpuppe.

Jenseits der Scham

Hendrik Quast macht in seiner Bauchrednershow "Spill your guts" die eigene Darmerkrankung zum Thema – und verunsichert das Publikum mit einer Mischung aus Beschämung und Quatsch.

Text: Luise Otto

In der Mitte der Bühne steht eine rote, gewundene Plastikröhre. Die freistehende Röhre erinnert an die Plastikrutschen vom Spielplatz, nur, dass es hier nicht den tollen Rutschenausgang gibt, sondern lediglich zwei schmucklose Enden, die nach oben zeigen. Kurz nachdem der Performancekünstler Hendrik Quast auftritt und seine rote Handtasche auf einen freien Platz in der ersten Reihe legt, verschwindet er auf der einen Seite in der Röhre und sein Kopf ploppt am anderen Ende oben wieder heraus. Er steckt in seinem Darm, zusammen mit seiner Krankheit, Colitis ulcerosa, verkörpert durch die Bauchrednerpuppe, die er bei sich trägt. 

Spill your Guts (c) Krauss
Mensch und Krankheit, stets verbunden, kämpfen um den Körper.

Quast erzählt keine Heilungsgeschichte. Er zeigt das eigene Leben mit der nicht endenden Erkrankung. Und einen Versuch von Akzeptanz. In dem Bild des Darmes, der sich sonst unsichtbar im Performancekünstler immer wieder entzündet und seinen Alltag prägt, wird Körpergesundheit plastisch. Mensch und Krankheit, stets verbunden, kämpfen um den Körper. In "Spill your Guts" taucht der Performancekünstler unerschrocken in die Tiefen seines Körpers ein.

Durch die Puppe wird die Krankheit externalisiert, sie bekommt ein Gesicht, Quast leiht ihr seine Stimme. Das ermöglicht einen Dialog über Macht, Beziehung, Angst und sogar Humor. Jetzt kann Quast mit ihr verhandeln, durch das Bauchreden findet er das perfekte Mittel für das Gespräch mit der genau dort verorteten Krankheit. Noch bevor die autofiktionale Geschichte beginnt, stellt Quast zweierlei klar: "Das ist eine wahre Geschichte", steht auf den Bildschirmen am Bühnenrand. Und: "Sie hat kein Happy End."

Spill your Guts (c) Krauss

Das Publikum und der Bauchredner befinden sich im Wartezimmer. Ob das lange dauert? Vielleicht haben die anderen ja "etwas Schnelles". "Hattest du auch mal eine herzförmige Bremsspur?", fragt die Krankheit eine Person im Publikum. Sie kommt zu nah, wird zu persönlich. Seine treue Begleiterin drängt sich auf, dominiert den Bauchredner, stellt seine Souveränität in Frage und wertet das Publikum ab. In diesem Wartezimmer wird nicht nur darauf gewartet, dass der Arzt, Dr. Finger (gespielt von Quasts Hand), den Bauchredner untersucht, sondern auch darauf, dass endlich etwas passiert. Diese Vorgeplänkel-Stimmung bleibt über weite Teile des Abends und wird durch Groteske, das Gefühl von Beschämung und eine Menge Quatsch angereichert.

Die Vermischung von dem professionellen und imposanten Bühnenbild mit trashigen Popkultur-Zitaten in Form von Duetten aus dem Disneyfilm "Die Eiskönigin" schafft ein ganz eigenes Bild: Es wird schamlos schlecht gesungen und die Überidentifikation mit der Figur Elsa bietet simple Unterhaltungskunst. Quast und seine Puppe zeigen die Herstellung eines "Purée de théâtre" (im Standmixer mit Sekt pürierte Brezel). Hier überwiegt der Unsinn, und Quast lässt das Publikum einfach gackern. Quast zaubert immer noch ein Requisit hervor, überlädt die Show mit Unterhosen und Kopfbedeckungen.

I AM NOT MY DARM.

Teilweise erfährt das Publikum eine Brutalität und Wut, dann werden Mensch und Krankheit melancholisch, die Angst vor der Trennung, einer Kolektomie (einer operativen Entfernung des Dickdarms), wird spürbar. Immer wieder streamt der Performer mit seinem Handy ein Livevideo auf die Bildschirme. Das bietet allerdings bis auf wenige Ausnahmen kaum einen Mehrwert.

An einigen Stellen wirkt es, als würde Quast selbst nicht ganz wissen, wo er als nächstes hinwill. Das unendliche Vorführen der Krankheit verläuft sich nach und nach. Er strapaziert nicht nur die Geduld des Publikums, auch die Schamgrenzen werden immer wieder schonungslos überschritten. (Nicht nur, wenn er sich auf der Bühne liegend einen Einlauf verpasst.)

Spill your Gut (c) Krauss

Quast verunsichert das Publikum, reizt die an vielen Stellen kaum vorhandene Distanz immer wieder voll aus. Auch wenn das unangenehm ist, so ist das eben auch die Krankheit und das wird immer und immer wieder klar gemacht. Der Künstler gibt seinen Körperfantasien Raum und inszeniert die Beziehungsebene zwischen Mensch und Krankheit trotz Quatsch mit einer deutlichen Dringlichkeit. Leider wurden die Wiederholungen nach und nach träger und verwischten so auch die gut gelungene humoristische Ebene schlichtweg durch die Dauer des Abends. Auch wenn die Krankheits-Puppe zum Ende beerdigt wird, geht der Kampf um den Körper weiter. Die Bildschirme zeigen eine letzte Botschaft: "I AM NOT MY DARM."

Mehr zur Autorin

Luise Otto (c) Vitus Rettermeier

Luise Otto ist 20 Jahre alt und studiert Theaterwissenschaft an der LMU in München. Sie arbeitet im Kulturressort bei M94,5, dem Münchner Studierendenradiosender. Bei Radikal jung freut sie sich am meisten auf die Arbeit mit anderen jungen Erwachsenen und die Theaterabende, in denen junge Regisseur*innen das Theater für sich einnehmen.