Ein Produktionsfoto von "Arbeit und Struktur". Moritz Klaus steht in einer Badewanne und duscht in seinen Klamotten.

"Da mischt sich permanent Fiktion und Realität"

Adrian Figueroa erklärt, warum er aus Wolfgang Herrndorfs Blog-Roman "Arbeit und Struktur" kein Insider-Oratorium machen wollte und wie er in seiner Arbeit nach einem frischen Blick auf das Alltägliche strebt.
Adrian Figueroa (c) Graz Diez

Interview: Katharina Mühl

Warum wolltest du Herrndorfs Roman "Arbeit und Struktur" auf die Theaterbühne bringen?
Adrian Figueroa: Ich finde schön, wie der Text Impressionen aus dem Alltag relativ elegant mit großen Fragen über das Leben und das Sterben kombiniert und diese beiden Themen fast gleichwertig auf einer Ebene stehen. Der Text von Herrndorf rutscht nie in ein wehleidiges Klagen, gleichzeitig lässt er natürlich Emotionen zu oder schreibt über tiefere Sachen.

Mir war immer eine Art von universeller Herangehensweise wichtig, dass auch Leute etwas aus dem Abend rausziehen können, die die Texte von Herrndorf nicht kennen.
Adrian Figueroa

Das Buch basiert auf den Blog-Beiträgen, die Herrndorf ab der Diagnose eines Hirntumors bis kurz vor seinem Selbstmord geschrieben hat. Was macht diese Texte auch für Leute spannend, die ihn als Autor nicht so gut kennen?
Das Spannende an dem Text ist, dass es nicht nur um eine individuelle Existenz geht oder über ein Schicksal. Herrndorf schafft es, dass auch Leute, die sein literarisches Werk vielleicht nicht kennen, sich mit seiner Situation identifizieren können. Ich wollte auch nie ein Herrndorf-Oratorium oder eine Herrndorf-Messe machen, wo man Insiderwissen mit Leuten teilt, die die Texte ohnehin schon kennen. Mir war immer eine Art von universeller Herangehensweise wichtig, dass auch Leute etwas aus dem Abend rausziehen können, die die Texte von Herrndorf nicht kennen. Dass man also universeller andocken kann und sich im besten Fall Fragen über sein eigenes Leben, über seinen eigenen Tod, über seine eigene Familie stellt.

Arbeit und Struktur: Florian Lange, Caroline Cousin (c) Melanie Zanin

Was für Herausforderungen gab es bei der Inszenierung von diesem tagebuch-artigen Erbe Herrndorfs?
Wenn man einen tagebuch-ähnlichen oder eben sehr persönlichen Text inszeniert von jemandem, der vor nicht so langer Zeit gelebt hat, leben natürlich noch ganz viele Menschen, die ihn sehr gut kannten. Das birgt natürlich Verantwortung und auch Respekt. Gleichzeitig habe ich aber gemerkt, dass ich eine Art von formalem Zugriff finden muss, um diesen Abend zu erzählen. Wir haben "Arbeit und Struktur" also immer wieder mit anderen literarischen Texten von Herrndorf durchmischt, dementsprechend treten auch Romanfiguren von ihm auf. Da mischt sich eigentlich permanent die Fiktion mit der Realität: sowohl in den literarischen Werken, in denen ganz viel von ihm selber und seiner persönlichen Situation steckt, als auch in "Arbeit und Struktur", wo viele fiktionale Elemente drin sind. 

Bedeutet das, die Handlung in "Arbeit und Struktur" ist gar nicht eins zu eins so passiert?
Die Texte sind gemacht dafür, dass sie ein externes Publikum liest und sie als Literatur begreift. Deswegen sind das keine intimen Gedanken, die nur für ihn sind und vielleicht niemals geteilt werden sollten, sondern es ist ganz klar Literatur. Es ist eine Art Fiktionalisieren von eigenen Themen. Da gibt es natürlich auch ganz viele Sachen, die bewusst ausgelassen wurden und über die er nicht geschrieben hat. Oder eben auch ganz klar Sachen, die er besonders erwähnen will, weil er weiß, dass es eine Hinterlassenschaft ist und er sich in einer gewissen Weise präsentieren will.

Arbeit und Struktur: Caroline Cousin, Moritz Klaus, Florian Lange (c) Melanie Zanin
Eigentlich suche ich nach Strategien, wie ich das vermeintlich Alltägliche oder Familiäre durch eine Fiktionalisierung mit frischen Augen sehen kann.
Adrian Figueroa

Du hast in der Vergangenheit öfter dokumentarisch gearbeitet, jetzt hast du diesen Herrndorf-Text inszeniert, der auch auf Realem basiert. Was reizt dich an der Arbeit mit Realität? 
Ich habe angefangen mit dokumentarischen Arbeiten, habe mit Communities gearbeitet oder an bestimmten Orten. Ich habe zum Beispiel in Justizvollzugsanstalten Theaterstücke gemacht. In meinen letzten Arbeiten bin ich sowohl im Theater als auch im Film immer mehr zur Fiktion gewandert. Trotzdem würde ich sagen, dass mich auch in meinen fiktiven Themen immer das Dokumentarische oder das Reale oder das, was man draußen auf der Straße sieht, als Zugang interessiert. Eigentlich suche ich nach Strategien, wie ich das vermeintlich Alltägliche oder Familiäre durch eine Fiktionalisierung mit frischen Augen sehen kann. Das würde ich so ein bisschen als meinen Arbeitsweg beschreiben.

Trailer "Arbeit und Struktur"

Mehr zur Autorin

Katharina Mühl (c) Moritz Lotze

Katharina Mühl liebt das Theater, wenn man vollständig in die Geschichten eintaucht und für einen Augenblick vergisst, dass man doch nur auf roten Samtsesseln einem Spiel zuschaut. Sie hat nach jahrelanger Arbeit an den Theaterbühnen selbst nun beschlossen, die Seiten zu wechseln und lieber als Kulturjournalistin Geschichten aus der Kunst zu erzählen. Diagnose: Süchtig nach guten Geschichten, geht deswegen nie ohne Buch oder Podcast außer Haus.