Vier männlich gelesene Personen auf der Bühne

SAUFEN, GRÖLEN, PISSEN

Theresa Thomasberger setzt sich in "Männerphantasien" mit Klaus Theweleits Faschismustheorien auseinander, kann dem Original aber keine wirklich neuen Aspekte hinzufügen

Autor: Marvin Wittiber

"Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten", betont Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl 2024, in einem seiner vielfach geklickten Videos auf TikTok. Er wendet sich damit explizit an junge Männer: "Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast." Dabei bedient sich Krah dem Mittel des Angstmachens: Kein echter Mann zu sein, bedeute im Umkehrschluss nicht nur orientierungslos, angreifbar und unbedeutend zu sein, sondern eben auch keine Frauen abzubekommen. Oje!

Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit beschrieb schon vor etwa 45 Jahren einen Männertyp, der den Faschismus ermöglichte. Sein über 1200 Seiten langes Sachbuch "Männerphantasien" von 1977 galt als bahnbrechende Faschismus-Studie und richtete den Blick weg von politischen Überzeugungen und Argumenten hin zu dem, was der Faschist fühlt und was ihn im Innersten antreibt. Am Deutschen Theater Berlin hat Regisseurin Theresa Thomasberger das Werk als Ausgangspunkt für ihre Inszenierung mit demselben Titel genommen und sich in ihrer Inszenierung mit dem Spannungsfeld von toxischer Männlichkeit und faschistischen Bewegungen auseinandergesetzt.

Männerphantasien (c) Schuller

Dafür schickt sie ihr vierköpfiges Ensemble auf einen Höllengang in das Finsterreich des Männlichkeitswahns. Dort begegnen wir verschiedenen männlichen Archetypen, die in einer collagierten Szenenabfolge Theweleits – weitgehend schwer verständliche – Theorien zitieren. Da man sich nicht die Mühe gemacht hat, die komplexen Thesen szenisch aufzubereiten, bleibt es über lange Strecken bei einem statischen, verkopften Textaufsagen.

Daneben flüchtet sich die Inszenierung immer mehr in einen komödiantischen Ton und stellt die Männer als prollige Hinterwäldler dar, die saufen, grölen, pissen und verdammt lahme Witze reißen. Das ist stellenweise witzig, aber auch brandgefährlich – denn es unterschlägt das intellektuelle Potenzial dieser Männer und untergräbt damit Theweleits Original. Dieser versucht, die Faschisten ernst zu nehmen, ihre Motivation zu verstehen sowie psychologisch zu erklären. 

Männerphantasien (c) Schuller

Da der Faschismus bei Theweleit vor allem als männliches Phänomen betrachtet wird, haben drei Dramatikerinnen die "Männerphantasien" um heutige weibliche Perspektiven ergänzt. Dabei holen Svenja Viola Bungarten und Gerhild Steinbuch die Frauen aus der Opferposition heraus und zeigen eine Tätermutter sowie eine Trad-Wife-Influencerin. Eine wichtige inhaltliche Setzung, denn rechtsextremistische Bewegungen haben längst das Potenzial von Frauen für ihre Bestrebungen erkannt: "Es sind ja nicht nur echte Männer rechts. Wie ist das denn mit den Frauen? Es sind auch echte Frauen rechts", heißt es in einem anderen Video von Krah. 

Die Männersprechchor-Szene von Ivana Sokola hat dem Original hingegen kaum etwas Neues hinzuzuführen. Es erscheinen zwar ergänzende Aspekte, aber man dringt zu keiner tiefergehenden Erkenntnis vor. Das gilt ohnehin für die gesamte Inszenierung: ein durchaus interessantes Thema, über das es allerdings nicht viel Neues zu sagen gibt. Auch szenisch eher unterkomplex und ästhetisch anspruchslos verliert sich der Abend  in klischeehaften Fascho-Männer-Darstellungen, zeigt rätselhafte Auftritte eines Countertenors zwischen den Szenen und ist vor allem eins: wenig unterhaltsam.

Mehr zum Autor

Marvin Wittiber, geboren 1998, studierte Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er arbeitet als freier Autor, Journalist und Kritiker, u. a. bereits für "Mannschaft Magazin", queer.de, "junge bühne", Film- und Medienstiftung NRW sowie für "kritik-gestalten", "StückeBlog" der Mülheimer Theatertage und youpod.de. Darüber hinaus war er von 2020 bis 2023 Juror des Bundestreffens Jugendclubs an Theatern.