Ein Portrait von Jessica Glause

"Mich interessieren Tabus, blinde Flecken und das, was wir gerne verdrängen."

Ein Gespräch mit Jessica Glause über das Schlachten, dokumentarisches Theater und das Ertragen von Wahrheiten.

Interview: Tobias Obermeier

Jessica, könntest du ein Tier töten?
Natürlich, ich töte täglich Fruchtfliegen. Das sind auch Tiere. Aber das ist eine interessante Frage, weil wir klassifizieren, welche Tiere wir als angenehm empfinden und als Haustiere halten und welche Nutztiere sind. Und dann gibt es noch die Unterkategorie von Insekten, die wir in den meisten Fällen als Ungeziefer verstehen. Aber ich habe noch nie ein Tier mit Fell getötet. In Notwehr würde ich wahrscheinlich eins töten.

Das Töten von Tieren spielt in unserem Alltag auch keine Rolle mehr.
Ich lebe neben einer Schafherde und wenn ich so ein kleines, süßes Lamm sehe, dann denke ich mir, das wird in zwei Monaten zum Schlachten gegeben. Das ist einfach nur eine sehr harte Realität und auch der Punkt, der mich interessiert. Wir blenden in unserem Alltag ganz viel aus, damit wir nicht mit diesem Schmerz konfrontiert werden.

Christian Stückl meinte in einem Interview, der Schlachthof gehöre wie ein Theater in das Stadtleben. Wie siehst du das?
Ich habe lange hier im Schlachthofviertel gewohnt. Und ich würde auch dafür plädieren dass dieser Schlachthof ins Herz der Stadt gehört, damit man sich dem nicht entziehen kann. Ich sehe hier die Transporter, ich höre manchmal das Brüllen der Schweine, das Muhen der Kühe. Und der Geruch ist immer ein Thema: Es stinkt nach Mist. Es stinkt nach Blut. Aber es ist interessant, dass sich viele Menschen aus dem Viertel darüber empören, dass es stinkt und nicht so sehr über den Akt des Tiere Tötens.

Die Themen Schlachten, Schlachthöfe und Fleischkonsum tragen eine große Ambivalenz in sich.

Woher kam die Motivation, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen?
Mich interessieren Tabus, blinde Flecken und das, was wir gerne verdrängen. Was wir nur schwer aushalten können. Und die Themen Schlachten, Schlachthöfe und Fleischkonsum tragen eine große Ambivalenz in sich. Es gibt hier den Schlachthof im Herzen der Stadt. Aber es gibt da diese Leerstelle zwischen dem Tier, das im Transporter angekarrt wird, und dem Gulasch oder Leberkäse auf dem Teller.

Was macht das mit einem, wenn man hier die Inszenierung probt und weiß, nebenan geht das Schlachten weiter
Die Räume der Dramaturgie und Intendanz sind im Bürogebäude an der Zenettistraße. Dort hört man jeden Tag das Schreien der Tiere. Es lässt sich nicht ignorieren. Aber würden wir das Stück nicht machen, würde auch diese Wahrnehmung ein bisschen mehr zur Seite gedrängt werden, denke ich. Man würde es vielleicht mal erwähnen, mehr nicht. Aber wir als Produktion sind ja momentan sehr stark mit der Frage konfrontiert, wie wir als Konsument*innen damit umgehen.

War es für dich einfach, mit deinen Interviewpartner*innen ins Gespräch zu kommen?
Einfach war der Kontakt zu Demeter-Bäuerinnen. Das muss man schlichtweg sagen.

Weil sie ihre Arbeit herzeigen mochten?
Ja genau. Sie tragen viel Stolz in sich. Das, was sie tun, ist fast schon eine ideologische Entscheidung. Der Kontakt zu konventionellen Bäuer*innen hingegen war viel schwieriger. Das hat auch mit einer noch größeren Skepsis der urbanen Gesellschaft gegenüber zu tun. Aber der Kontakt zu den Bäuerinnen war sehr nah und auch emotional, muss ich sagen. Sie haben es geschätzt, dass man sich dafür interessiert, was sie tun und was ihre Nöte sind. Und dass es nicht nur reine Neugierde oder Voyeurismus ist.

Und du hast auch mit den Menschen im Schlachthof gesprochen?
Wir haben mit den Metzgern und Fleischhändler außen rum gesprochen. An die Betreiber des Schlachthofs sind wir nicht rangekommen. Man muss auch sagen, dass seit dem Tönnies-Skandal die Schlachthöfe natürlich noch mehr in Verruf gekommen sind und eine große Skepsis nach außen hin vorherrscht.

Wie hast du das Stück insgesamt angelegt?
Das Stück ist in den Figuren sehr stark dokumentarisch angelegt. Es hat aber auch immer wieder fiktionale Momente. Und es ist überhaupt kein "Vegetarierstück". Ich möchte Perspektiven aufzuzeigen. Das finde ich ganz wichtig. Das man nicht sagt, das ist per se schlecht oder per se gut. Es gibt auch Argumente für die industrielle Form von Schlachtung. In unserer Gesellschaft halten wir andere Meinungen immer schwieriger aus. Und es ist mein Versuch, ein Kaleidoskop von Perspektiven zu erstellen. Auch wenn es schwer auszuhalten ist. Natürlich will man, dass viele der eigenen Meinung sind.

Humor ist eine gute Lebensphilosophie.

"Unser Fleisch, unser Blut" ist wie einige deiner vorherigen Stücke eine Stoffentwicklung. Was reizt dich daran?
Ich mag den Prozess sehr gerne, mit dem Ensemble in Dialog zu treten. Das bringt aber oft auch eine große Unsicherheit mit sich. Manche Schauspieler*innen halten das besser aus und haben auch ein großes Interesse daran, sich Texte zu erarbeiten. Manche weniger. Während der Stückentwicklung denk ich mir aber immer wieder, wer hatte eigentlich diese bekloppte Idee? Was habe ich mir da schon wieder eingebrockt? Ich muss halt immer gleichzeitig den Text und die Szenen entwickeln. Und das sind zwei Aufgaben, die sehr viel Aufmerksamkeit und Zeit erfordern.

Du gehst die Sache sehr humorvoll an. Denkst du, so lässt es sich besser aufklären?
Humor ist immer ein guter Weg und auch eine gute Lebensphilosophie. Wenn es mir nicht gut geht, kann mich der Humor wieder aufrichten. Oder eine Situation fühlt sich weicher an. Das gemeinsame Lachen löst ganz viel Anspannung auf. Humors ist ein großes Geschenk. Er verbindet. Und nimmt Situationen die Ernsthaftigkeit.

Mit welchem Gefühl sollte das Publikum aus der Inszenierung herausgehen?
Mir ist es wichtig, dass die Menschen einigermaßen gut gelaunt und inspiriert herausgehen. Ich verstehe meinen Beruf so, dass er unterhalten, aber auch zu emotionalem Spüren und intellektuellem Nachdenken anregen soll. Und dass man mit mehr Wahrheiten aus dem Theater kommt, als dass man hineingegangen ist.