Nachhaltigkeit auf der Theaterbühne

In Bühnenbildern steckt nicht nur viel Arbeit, sondern meist auch eine Fülle an verschiedensten Baumaterialien. Aber was passiert damit, wenn ein Stück abgespielt ist?

Autor: Tobias Obermaier

Eine Dernière ist immer ein leicht wehmütiger Abend. So wird im Theaterjargon die letzte Darbietung eines Stücks genannt. Unzählige Stunden an Arbeit verabschieden sich von der Bühne, wenn sich der Vorhang für die Inszenierung für immer schließt. Ein letztes Mal schlüpfen die Schauspieler*innen in ihre Rollen. Die Ankleider*innen bereiten nochmals die Kostüme vor, bevor diese endgültig im Fundus eingelagert werden. Und auch vom Bühnenbild wird Abschied genommen. Das Technikteam macht sich daran, die Kulissenelemente ein letztes Mal auf- und abzubauen.

Kulissenlager des Münchner Volkstheaters

Aber was passiert eigentlich nach einer Dernière mit dem Bühnenbild? Das Münchner Volkstheater besitzt zwar neben seinem eigenen auch ein externes Lager bei einer Umzugsfirma nahe München, aber bei 11-13 neuen Bühnenbildern pro Jahr ist die Lagerfläche schnell ausgeschöpft. Nachfrage bei Moritz Köster, dem Leiter der Werkstätten im Münchner Volkstheater: "Wir versuchen, aus der Kulisse alles rauszuholen, was wir brauchen können. Scharniere, Rollen, Beschläge oder große Stoffvorhänge legen wir auf Lager, um sie zum Beispiel für Bauproben wieder verwenden zu können. Metallbauteile sind für uns nicht mehr Interessant. Es wäre einfach zu viel Arbeit, diese umzuändern", so Köster. Stahl und Holz wird kleingeschnitten und getrennt entsorgt. Alle anderen Verbundmaterialien wie tapezierte Wände oder mit PVC bezogene Teile werden als Sperrmüll entsorgt. Der Großteil der Bühnenbilder wird also nicht mehr wiederverwendet. Köster ist die Problematik dessen durchaus bewusst: "Es ist ein sehr verschwenderisches Wegwerfgeschäft."

Eine Möglichkeit, um die Materialverschwendung einzudämmen und für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen, wäre eine modulare Bauweise des Bühnenbilds. Dadurch könnten bereits existierende Kulissenelemente für eine neue Produktion immer wieder miteinander kombiniert werden. Doch hier stehen Kunst und Nachhaltigkeit im Widerspruch. Es gäbe zwar bereits viele Gespräche in der Branche, aber "die künstlerische Freiheit steht nach wie vor an erster Stelle", so Köster. "Die Nachhaltigkeit muss im Konzept des Bühnenbildners beginnen."

Die künstlerische Freiheit steht nach wie vor an erster Stelle.
Moritz Köster

Es gibt jedoch noch eine weitere Möglichkeit, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen: Die Weitergabe ausrangierter Materialien an externe Partner. Seit Oktober 2022 arbeitet das Volkstheater deswegen mit treibgut zusammen, einer gemeinnützigen Materialinitiative auf dem Gelände des Kreativquatiers in München, deren Ziel es ist, verschiedenste Materialien vor der Entsorgung zu bewahren und an kreative Projekte, soziale Einrichtungen oder an die Kunst- und Kulturszene Münchens weiterzugeben und so einen Materialkreislauf zu erzeugen. Einige Bühnenbilder wurden dadurch schon einer neuen Nutzung zugeführt. Eines der ersten war die verspiegelte Kreisbühne aus "Die Physiker", die letzten Sommer als Skulptur in Neuperlach aufgestellt wurde.

eine soziale Skulptur des Projektes "Raumfragen" gebaut aus dem Bühnenbild "Die Physiker"

Erst vor wenigen Tagen besuchte Sebastian Blanz, einer der Geschäftsführer von treibgut, das Volkstheater. Es ging um die Kulisse von "Edward II.", die Anfang März das letzte Mal zum Einsatz kam. Für Blanz war der Besuch mehr als vielversprechend: "Das Material ist super. Das Ganze ist ein Aufbau auf einer Drehscheibe mit ca. 225m2 aus 25 Millimeter dicken, quadratischen Multiplex-Platten. Wenn das zu uns kommt, liegt es nicht lange rum. Da findet sich schnell ein Abnehmer." Über zu wenig Materialanlieferung muss sich treibgut auch keine Sorgen machen. Es kommt schneller Material rein, als rausgeht. Die knapp 200m2 Lagerfläche sind da schnell voll.

Aktuelles Materiallager von treibgut

Die Kooperation mit dem Volkstheater zeigt, wie mehr Nachhaltigkeit in der Theaterproduktion erreicht werden kann. "Es könnte eine Vorbildfunktion für andere Häuser sein", betont Blanz. Seine Idee: Ein neues, weitaus größeres Lager mit einem Materialkreislauf, der sich "europaweit sehen lassen kann." Doch nicht nur deswegen sucht treibgut nach neuen Räumlichkeiten. Das derzeitige Gebäude wird in den nächsten Jahren abgerissen. Blanz hofft, mit Unterstützung des Kulturreferats schnell einen neuen Raum zu finden.

Denn die Wichtigkeit der Materialinitiative wird auch in der Stadtpolitik erkannt. So ist es eine der Aufgaben von treibgut, eine CO2-Bilanz für jeden Kooperationspartner zu erstellen. Dadurch lässt sich das Engagement für mehr Nachhaltigkeit in Zahlen bemessen. Auch treibgut kann seine Arbeit damit rechtfertigen. Denn 40% der Kosten werden über eine Förderung vom Referat für Klima- und Umweltschutz gedeckt. Der Rest kommt über eine Strukturförderung vom Kulturreferat, Spenden oder den Verkauf der Materialien zusammen.

Eine nachhaltige Nutzung von Bühnenbildern ist möglich. Es muss nur gemacht werden.

Immer mehr Münchner Kulturhäuser beginnen mittlerweile eine Kooperation mit treibgut. So wurden erst kürzlich einige Teile in der Ausstellung "The Gift" des Architekturmuseums der TUM verbaut. Es war das erste Mal, dass ein so großes Haus Material bezogen hat. Anfang März übernahm treibgut zudem einen größeren Auftrag im Haus der Kunst. Und erst im Januar war Sebastian Blanz mit einem Kollegen in Japan. Die Stadt Sapporo hat sie eingeladen, um beim Aufbau eines ähnlichen Projekts zu unterstützen. Der wachsende Erfolg von treibgut zeigt: Eine nachhaltige Nutzung von Bühnenbildern ist möglich. Es muss nur gemacht werden.