Über sich hinauswachsen

Im Jugendclub des Münchner Volkstheaters können sich Jugendliche auf und hinter der Bühne ausprobieren und unter Anleitung eine eigene Inszenierung erarbeiten, die am Ende große Premiere feiert. Ein Probenbesuch.

Tobias Obermeier

Bevor es losgeht, müssen erst der Körper entspannt und der Kopf freigemacht werden. Die Mitglieder des Jugendclubs stellen sich dafür auf der Probebühne des Münchner Volkstheaters im Kreis auf. Theaterpädagogin Linda Hummrich gibt die Anweisungen. "Eins, zwei, drei vier, eins, zwei, drei vier", im stetig höher werdenden Tempo werden abwechselnd Hände und Füße geschüttelt, bis es nicht mehr schneller geht. Es folgt die zweite Übung. Die Jugendlichen denken sich abwechselnd einen Begriff aus, stellen sich in die Mitte und imitieren diesen. Die nächste Person folgt mit einem weiteren Begriff, der in Verbindung zum ersten steht. Auf "Ich bin Fiktion" folgen beispielsweise "Ich bin ein Aluhut" oder "Ich bin Christopher Nolan". Wenn drei in der Mitte stehen, kehren zwei davon wieder in den Kreis zurück und das Spiel beginnt von vorne. Als Schlussakt imitierten alle aufeinanderfolgend einen Begriff, bis sich der Kreis aufgelöst hat und alle in der Mitte stehen.

(c) Elisabeth Maslik

Die Hektik des Alltags wäre damit vergessen und die Arbeit kann beginnen. 21 Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahre sind dieses Jahr beim Jugendclub dabei. Gemeinsam entwickeln, gestalten und proben sie jeden Montagnachmittag für zwei Stunden eine eigene Inszenierung. Genauer gesagt handelt es sich um eine szenische Collage über Leistungsdruck. Das Thema haben sich die Jugendlichen selbst ausgesucht. Gerade stehen nicht die Proben im Fokus, sondern das Erarbeiten des "Looks" der Inszenierung. Im Sitzkreis sprechen sie gemeinsam über ihre Ideen zur Maske und zum Kostüm. Es soll viel mit Glitzer gearbeitet werden. Gebleichte Augenbrauen werden vorgeschlagen. Als weitere Inspiration wird der Film "The Great Gatsby" von Baz Luhrmann genannt. "Was ich wirklich cool fände, wenn es keine Geschlechtertrennung im Make-Up gibt", wirft ein Junge ein.

(c) Elisabeth Maslik

Die Theaterpädagoginnen halten sich bei der Diskussion zurück, geben den Jugendlichen ihren Raum. Neben Linda Hummrich gehören noch Marie Philipp, Johanna Löffler und Verena Neumair zur Leitung des Jugendclubs. Die Vier kennen sich bereits durch ihre Theaterpädagogik-Ausbildung und übernahmen den Jugendclub zur Spielzeit 2024/25. "Unsere Rolle ist es, Impulse für die Entwicklung eines Stücks anzubieten. Wir geben einen Rahmen vor, in dem sich die Jugendlichen frei bewegen und eigene Ideen umsetzen können", erklärt Marie Philipp ihre Arbeit. In den letzten Wochen wurde dabei viel Material gesammelt, aus dem unter Anleitung der Pädagoginnen der dramaturgische Rahmen entwickelt wurde. Jetzt geht es in die Endphase, wie Linda Hummrich erzählt, "in der wir nochmal überprüfen, wie die einzelnen Szenen zusammengesetzt werden und was dabei noch fehlt."

(c) Elisabeth Maslik
Neue Sachen zu versuchen, die man im Alltag nicht macht, und aus sich rauszukommen, das war mehr das Ausschlaggebende.
Alina, Teilnehmende des Jugendclubs

Ein wichtiger Teil, der noch fehlt, ist der Titel der Inszenierung. Um diesen zu bestimmen, werden Karten mit Titelvorschlägen auf den Boden gelegt. Wieder geben die Pädagoginnen nur den Rahmen vor: "Welcher Titel spricht dich am meisten an?", "Welcher Titel macht dich am neugierigsten?", "Welcher Titel bildet das Stück am besten ab?". Mit diesen Fragen als Vorgabe verteilen sich die Jugendlichen vor den verschiedenen Kärtchen und verteilen jeweils ihre Punkte. Danach geht es in die Diskussion. 

(c) Elisabeth Maslik

Viele der Jugendlichen sind neu hinzugekommen, andere nehmen bereits zum wiederholten Mal beim Jugendclub teil. Was sie alle eint? Die Lust, Neues auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. So wie Alina, die bereits zum vierten Mal dabei ist und später professionelle Schauspielerin werden möchten. Momentan ist sie im Residenztheater in einer Inszenierung zu sehen. Dabei war gar nicht das Schauspielen der eigentliche Grund, warum sie sich beim Jugendclub anmeldete: "Neue Sachen zu versuchen, die man im Alltag nicht macht, und aus sich rauszukommen, das war mehr das Ausschlaggebende." Lisa wiederum ist zum zweiten Mal dabei: "Ich spiele hier auch mit, aber eher als Hobby. Beruflich möchte ich später Regie machen. Dafür sollte ich aber wissen, wie Schauspielen funktioniert. Und es macht einfach sehr viel Spaß". Pia wiederum wirkt nicht nur beim Jugendclub im Volkstheater mit, sondern auch an den Kammerspielen, wie sie erzählt. "Darüber hinaus beteilige ich mich auch bei vielen Schauspielangeboten an der Uni. Ich studiere Theaterwissenschaft und dort bespielen wir eine eigene Bühne".

Dass es im Jugendclub neben der Inszenierung, auf die alle mit viel Engagement und Ausdauer hinarbeiten, auch um kreativen Austausch und kritische Reflexion geht, zeigt die Titelfindung. Letztlich wird jener Titel ausgewählt, der zu Beginn der regen Diskussion noch am wenigsten Stimmen erhielt. "No time to shine" lautet der finale Titel. Wer sich von der Arbeit der Jugendlichen überzeugen möchte, hat am Samstag, den 19. Juli, um 18 Uhr die Gelegenheit dazu, wenn die Inszenierung auf der Bühne 3 Premiere feiert. Weitere Spieltermine sind am 20. Juli um 14 und 17 Uhr.