Claudia Bossard und Philipp Arnold

"In Berlin passiert es eher selten, dass jemand über sich lachen kann."

Für die Spielzeit 21/22 haben sich Claudia Bossard und Philipp Arnold für Komödien entschieden. Ein Gespräch über deutschen Humor, Lacher an der falschen Stelle, und die Frage, ob eine Tragödie immer auch tragisch sein muss.

Interview: Julia Rothaas
[Anm.d.Red.: Das Interview wurde im Sommer 2021 geführt]

Philipp, du hast im Vorfeld gesagt, dass du gerne mit uns über Humor sprichst, aber kein lustiger Mensch bist.
Philipp Arnold: Das war ein Witz! So fängt mein Humor wohl an.

Findest du dich denn selbst lustig,
Claudia?

Claudia Bossard: Ja.
Philipp Arnold: Das kam jetzt aber wie aus der Kanone geschossen.
Claudia Bossard: Ich muss es ja schließlich mit mir selbst aushalten.

Dass ihr lustig seid: Würden eure Freunde da zustimmen?
Philipp Arnold: Ich glaube schon.
Claudia Bossard: Ja. Wenn sie das nicht finden, sollen sie mich bitte anrufen.

Über was könnt ihr lachen?
Philipp Arnold: Das ist von der Situation abhängig, von den Leuten, die man trifft, oder wenn einem selbst irgendwas total Blödes passiert.
Claudia Bossard: Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich stundenlang in irgendwelchen dummen Youtube-Videos verirren kann. Ich werde getriggert von den voyeuristischen Ebenen, die Humor auch mit sich trägt, und bin immer irgendwie auf der Suche nach den Skurrilitäten in der virtuellen Welt.

Regisseur Philipp Arnold (c) Sebastian Pircher

Über was habt ihr zuletzt gelacht?
Claudia Bossard: Keine Ahnung.
Philipp Arnold: Da kann man sich doch nie dran erinnern, das ist so wie bei der Frage: Was ist dein Lieblingslied? In dem Moment fällt einem keins ein, eine halbe Stunde später kommen einem gleich 50.000 Lieblingslieder. Wahrscheinlich habe ich zuletzt über ein komisches Gif gelacht, das ich geschickt bekommen habe.

Gibt es Dinge, über die ihr euch nur heimlich zu lachen traut?
Claudia Bossard: Ich lebe in Wien, hier ist alles erlaubt.

Kommst du denn mit dem Wiener Humor klar? Du bist Schweizerin, wohnst aber in Österreich.
Claudia Bossard: Ich habe Literaturwissenschaften studiert und mich viel mit den Texten von Elfriede Jelinek auseinandergesetzt. Doch jetzt lerne ich gerade, dass es noch viel bösere Menschen gibt als sie.

Was macht den Wiener Humor aus?
Claudia Bossard: Der ist gnadenlos und enttabuisiert. Oft bleibt einem der Kloß im Hals stecken, doch dann wird munter weiterverdrängt. Der Humor tut weh, aber das ist hier ja fast eine Überlebensstrategie.

Für was?
Claudia Bossard: Um weiterzumachen, trotz der ÖVP-Regierung von Sebastian Kurz.

Ich habe schon festgestellt, dass sich der Humor in Deutschland von Region zu Region sehr unterscheidet.
Claudia Bossard

Philipp, gibt es Dinge, über die du nur heimlich lachst?
Philipp Arnold: So Sachen im Netz, von denen man nie erzählen würde, dass man sich so etwas anguckt.

Hast du ein Beispiel?
Philipp Arnold: Die sind nicht für die Öffentlichkeit gedacht.

Könnt ihr gut über euch selbst lachen?
Philipp Arnold: Ich glaube schon. Schwierig ist es natürlich in Momenten, in denen man denkt, man hat sich gerade bis auf die Knochen blamiert. Da geht das erst mal nicht.
Claudia Bossard: Ich würde von mir behaupten, dass ich sehr gerne ironisch bin. Aber im Theater muss man aufpassen, dass man einen Witz nicht sofort wieder dekonstruiert.

Weil man seinen Witz erklärt?
Claudia Bossard: Genau. Gerade mit lustigen Schauspielern passiert das oft automatisch, da hängt man gleich einen Kommentar an seinen Witz. Man muss aufpassen, dass man den gleichen Humor nicht im Text, in der Musik und im Spiel einbaut.

Regisseurin Claudia Bossard

Philipp, du kommst ursprünglich aus dem Rheinland. Was macht den Rheinländer Humor aus?
Philipp Arnold: Man nimmt sich nicht so ernst und lacht oft über sich selbst. Mich irritiert es immer, wenn Leute das nicht können. Bei uns ist das einfach Standard. Ich wohne ja gerade in Berlin, da passiert es eher selten, dass jemand über sich lachen kann.

Du hast ein paar Jahre in England gelebt und auch dort studiert. Wie bist du mit dem britischen Humor klar gekommen?
Philipp Arnold: Schwierige Geschichte. Dort ist ja Standup-Comedy total groß, aber ich finde dazu keinen Zugang. Für mich ist es eine komische Form von Humor. Aber ich habe dort auch lustige Leute getroffen, immerhin.

Claudia, kannst du mit dem deutschen Humor etwas anfangen?
Claudia Bossard: Ich habe schon festgestellt, dass sich der Humor in Deutschland von Region zu Region sehr unterscheidet. München scheint mir ein bisschen verwandt zu Zürich. Die Schweizer sind urfreundlich, benutzen Humor aber als Schleim-Strategie oder Neutralitätsbonus. Die Norddeutschen hingegen sind nochmal ganz anders. Ich habe mal in Osnabrück gearbeitet, die Direktheit dort habe ich geliebt. Ich mag dieses Trockene, auch am britischen Humor. Der fasziniert mich total.

Gab es in Osnabrück Situationen, in denen du den Humor nicht heraushören konntest – weil er so direkt war?
Claudia Bossard: Im Gegenteil, ich fand das total erfrischend. Weil diese Form von Humor so effizient ist. In der Schweiz funktioniert das nur über sieben Ecken: Da kommt immer erst der Konjunktiv, dann das Bitte, und dann noch mindestens ein Dankeschön. Aber dieses Geradlinige im Norden hat mich überrascht. Das mag ich auch an den Amerikanern. Ich bin fasziniert, mit welcher Leichtigkeit die durch den Alltag tanzen. Das finde ich sehr viel interessanter als jede Nüchternheit.

Wie wichtig ist euch Humor bei anderen?
Claudia Bossard: Sehr wichtig.
Philipp Arnold: Das ist wahnsinnig wichtig, ja.

Im Privaten wie Beruflichen?
Beide: Ja.

Fällt es euch schwer, mit Menschen warm zu werden, die aus eurer Sicht nicht lustig sind? Kann man mit denen überhaupt befreundet sein?
Philipp Arnold: Ich finde es manchmal irritierend, wenn jemand offensichtlich wenig Humor hat. Aber es ist ja auch nicht so, dass alle meinen Humor haben. Das wäre ja furchtbar. Auf der anderen Seite kann mich jetzt auch nicht an die letzte Person erinnern, bei der ich dachte: Wow, was für ein humorloser Typ! Das passiert also seltener als man denkt.

Man muss sich fragen, was für einen Humor man zeigen will. Im Allgemeinen und im Team.
Philipp Arnold

Wie ist das im beruflichen Umfeld?
Philipp Arnold: Es ist tragisch, wenn andere den eigenen Humor nicht verstehen können, und jemand denkt, ich könnte etwas ernst meinen, obwohl es als Witz gemeint war. Aber wenn man als Gruppe zusammenkommt, muss man den Humor auch immer erst finden.

Das heißt jedes Mal: neue Inszenierung, neues Team, neuer Humor?
Philipp Arnold: Man muss sich fragen, was für einen Humor man zeigen will. Im Allgemeinen und im Team.
Claudia Bossard: Ich bin da manchmal schon stur. Wenn man selbst eine Figur als sehr lustig empfindet, der Spieler, die Spielerin aber nicht, kann das zäh werden. Ich hatte bereits ein paar komische Erlebnisse, da habe ich gesagt: Das ist jetzt aber eine lustige Figur, die müssen wir irgendwie auch so hinkriegen. Aber wenn man nicht denselben Geschmack hat, kann das unter Umständen die Dynamik in einem Stück stören. Also muss man den Witz verlagern, vielleicht macht man die Figur zur Spaßbremse. Viel Zeit darf man dabei nicht verlieren, ich hätte da fast schon die tollsten Schauspieler*innen vergessen, weil ich mich so geärgert habe, wenn es mit einem anderen nicht gezündet hat. Für eine Inszenierung hat man meist nur zwei Monate Zeit. Da ist Humor auch ein entscheidender Faktor, um Leute kennenzulernen.

Damit ein Team funktioniert?
Claudia Bossard: Ja, aber auch für die künstlerische Suche.

Plakatmotiv zur Inszenierung "Der Selbstmörder" von Claudia Bossard
Humor hat etwas strategisches. Ich überlege mir immer sehr genau, wann die erste Pointe kommen muss.
Claudia Bossard

Was macht man, wenn es einem Schauspieler nicht gelingt, eine lustige Figur auch so rüberzubringen?
Claudia Bossard: Man passt es demjenigen an, der die Rolle spielt. Mit der Besetzung geht man gemeinsam auf eine Suche, schafft Platzhalter, und findet heraus, was die Alternative sein könnte.

Ist das in deiner Arbeit auch so, Philipp?
Philipp Arnold: Natürlich kann man einen gewissen Humor ansagen. Aber so arbeite ich nicht. Wie Claudia sagt, ist es eine Zusammenkunft mit einem Team für ein Stück, für das man gemeinsam guckt, was für eine Art von Humor man finden will. Das ist auch davon abhängig, wie die Spieler*innen ihre Rolle spielen, was sie mit den Texten machen. Trotzdem führt man an. Ich mag zum Beispiel überhaupt keinen Slapstick, das wird es bei mir nicht geben.

Wie wichtig ist euch in euren Inszenierungen, dass gelacht wird?
Philipp Arnold: Muss!

Und wenn es nicht passiert?
Philipp Arnold: Zum Glück sitzt man als Regisseur ja nicht in jeder Vorstellung.

Und du, Claudia?
Claudia Bossard: Es ist wichtig, doch ich glaube, es ist immer auch eine Frage, was für eine Art von Lachen man sich wünscht. Schließlich entscheidet man damit, wohin man will.

 

Was ist, wenn das Publikum an den falschen Stellen lacht?
Claudia Bossard: Da freue ich mich auch, das ist ja eine Entdeckung. Doch Humor hat etwas Strategisches. Ich überlege mir immer sehr genau, wann die erste Pointe kommen muss. Ob die Leute das dann lustig finden oder nicht, ist Geschmackssache. Aber mir ist sehr wichtig, wo man Konzentration schafft und wo man sie wieder entlädt. Eine Komödie zu inszenieren, finde ich deshalb sehr anspruchsvoll, vor allem bei den Proben. Ich lache wirklich sehr viel und sehr lange, aber irgendwann wird es erbärmlich. Man kann einen Witz ja nicht sechs Wochen lang proben. Sonst gibt es diese grausame Entdeckung, dass ihn niemand anderes lustig findet. Und auch das muss man dann sechs Wochen lang aushalten und fest daran glauben, dass wenigstens das Publikum lachen wird.

Plakatmotiv zu Philipp Arnolds Inszenierung "Ernst ist das Leben (Bunbury)"

Wie schnell muss die erste Pointe kommen?
Philipp Arnold: Ich glaube, das ist so eine Rhythmus-Sache; das kommt darauf an, wo man das Stück hinsteuern will.
Claudia Bossard: Bei mir kommt die erste Pointe wirklich sehr schnell. Es muss nicht immer der große Lacher sein, aber nach fünf Minuten muss was passieren. Schon die Irritation, die kleine Schwester vom Lacher, reicht.

Ist es schwerer, ein lustiges Stück zu inszenieren als ein trauriges? Und welche Rolle spielt das bei eurer Stückwahl?
Philipp Arnold: Ich mache jetzt eine Komödie, weil meine letzten Stücke alle so schwer waren. Außerdem sagt man ja, dass nach schweren Zeiten oder historischen Einschnitten immer Komödien aufgetaucht sind. Was schwerer zu inszenieren ist, weiß ich nicht. Es ist abhängig vom Stoff und wie man da rangeht. Eine Komödie lässt sich nicht automatisch leichter machen, weil sie lustig ist. Eher im Gegenteil. Man nimmt beides ja ernst.
Claudia Bossard: Ich freue mich immer sehr, mir ein lustiges Team zusammenzustellen. Ich liebe Komödien, und habe gleichzeitig Respekt davor, weil man parallel darüber nachdenkt: Scheiße, was mache ich, wenn es niemand lustig findet außer mir? Ich glaube allerdings, dass Tragödien gleichzeitig oft Komödien sind. Ich habe mich während des Studiums mal an einem Tschechow-Stück probiert, wir haben die volle Tragödie herausgeholt, um dann zu realisieren, dass das so überhaupt nicht funktioniert, und es Tschechow deswegen auch wichtig war, es als Komödie zu greifen. Das fand ich eine sehr naive, gute Lehre damals.

Der Effekt des Mitlachens interessiert mich sehr, weil er gefährlich ist.
Claudia Bossard

Philipp, du hast eben erzählt, dass die Komödie auf der Bühne oft der Tragik des Weltgeschehens folgt. Hat man als Regisseur eine Verantwortung für das Seelenheil des Publikums?
Philipp Arnold: Zum einen geht es bei der Stücksuche darum, was mich gerade interessiert, zum anderen denke ich schon darüber nach, was gerade so los ist. Das mit dem ganzen Corona-Ding fand ich ziemlich schwierig, weil ich dachte: Was sind denn jetzt die großen Themen? Will man zurück zu dem, was man davor gesagt hat, oder gibt es nun nicht andere Fragen, die viel dringlicher sind und an denen man sich abarbeiten will? Ich wollte nach dieser Zeit nicht unbedingt eine Komödie spielen, ich hatte einfach Bock auf das Stück.
Claudia Bossard: Was machst du denn für eine Komödie?
Philipp Arnold: "Bunbury" von Oscar Wilde.

Erzählst du kurz was über dein Stück für die neue Spielzeit?
Philipp Arnold: Es geht um zwei Typen im englischen Adel Ende des 19. Jahrhunderts, die sich Alter Egos konstruiert haben, um Frauen zu verführen und sich selbst ein bisschen interessanter zu machen. Am Ende verlieren sich die beiden in diesem Verstellen. Für mich hat es einen wahnsinnigen Witz, weil in dem Stück alle so eine irre Festigkeit in ihren Meinungen haben, die sie so rausplaudern.

Lorenz Hochhuth, Carolin Hartmann (c) Gabriela Neeb

Lorenz Hochhut (c) Gabriela Neeb

Plakatmotiv zu Philipp Arnolds Inszenierung "Der Menschenfeind"

Claudia, du inszenierst den "Selbstmörder". Das hört sich nicht so lustig an.
Claudia Bossard: Hoffentlich wird es das aber. Das Stück von Nikolai Erdman handelt von einem Mann, der aus Versehen oder aus beleidigter Not heraus verlautbart, dass er sich das Leben nehmen wird. Daraufhin reagiert eine Gemeinschaft und tut alles dafür, dass sich dieser Mensch bitte nicht das Leben nimmt – und wenn: dann ganz für sich allein. Dadurch entsteht eine irre Dynamik, weil der Mann Gefallen an der Aufmerksamkeit an seiner Person findet, und daher beginnt, seine eigene Beerdigung oder sein Ableben zu inszenieren. Ich fand das Thema von Anfang an interessant, weil es so philosophisch ist: Warum tun wir uns so schwer damit, zu akzeptieren, dass ein Mensch selbst über sein Leben verfügt? Was macht das mit den Angehörigen und was hat ein Suizid mit Narzissmus zu tun? Wie geht man verloren, wie wird man vergessen? Schon als Kind habe ich mit meinem Bruder darüber nachgedacht, welche Musik wir auf unserer eigenen Beerdigung spielen würden.

Und?
Claudia Bossard: Mein Bruder hatte sich für eine zwölfminütige, völlig übertriebene Version eines Hollywood-Klassikers entschieden, ich kann da keine Antwort drauf geben. Das ist wahrscheinlich eine ewige Suche, so wie mit dem Lieblingslied. Das Fantasieren der eigenen Beerdigung ist aber zumindest hier in Österreich ein gängiges Thema, auch unter Erwachsenen.

Was ist nicht lustig, worüber darf man nicht lachen?
Claudia Bossard: Problematisch ist es, wenn man etwas dekonstruieren will, es dadurch aber mystifiziert. Das kann einem sehr schnell passieren, zum Beispiel wenn man eine politische Pointe macht, dem Täter aber im Grunde den Ball zuspielt. Das Lachen muss man steuern, sonst kann es gefährlich werden und dient unter Umständen dem, was man nicht will.

Siehst du das auch so, Philipp?
Philipp Arnold: Wenn ich Serien aus den 90er Jahren gucke, denke ich schon manchmal: Wahnsinn, wie schlecht Humor altern kann. Das geht heute teilweise gar nicht mehr. Man darf nicht mehr ausgrenzen und andere vor den Bus werfen, um selbst einen lustigen Abend zu haben. Trotzdem darf man den Humor nicht verlieren.

Ein schmaler Grat?
Philipp Arnold: Die Frage ist immer, worauf der Humor am Ende abzielt. Witze über eine bestimmte Gruppe oder jemanden vorführen? Würde ich nie machen, das ist auch überhaupt nicht mein Humor.

Könnt ihr zum Abschluss noch einen Witz erzählen?
Philipp Arnold: Nein, das ist wie mit den Lieblingsliedern.
Claudia Bossard: Ich habe einen! Was spielt ein suizidaler Schauspieler? Keine Rolle mehr.