"Geschichte existiert immer in der Gegenwart"

"Fata Morgana" (UA) setzt sich mit Influencer*innen in Dubai auseinander. Schauspielerin Ruth Bohsung im Gespräch über Social Media, das westliche Bild vom Nahen Osten und warum Humor im politischen Diskurs so wichtig ist.

Interview: Tobias Obermeier

Ruth, folgst du Influencer*innen?
Nein, Ich habe kein Instagram und auch kein TikTok. Ich bin viel auf Twitter unterwegs. Da folge ich Leuten, deren Inhalte ich gut finde. Aber das ist sozusagen ein anderes Influencen.

Wann werden Influencer*innen deiner Meinung nach problematisch?
Ich habe mit Vermarktungslogiken der Influencer*innen ein Problem. Dass zum Beispiel ein Product-Placement eine zeitlang nicht gekennzeichnet werden musste, ist schon sehr problematisch. Vor allem bei jüngeren Menschen, die das nicht merken und denken, sie brauchen jetzt diese Produkte. Wenn es so einen krassen Konsum befeuert, finde ich es schon schwierig.    

In "Fata Morgana" spielst du selbst eine Influencerin. Konntet ihr als Schauspieler*innen eigene Ideen in das Stück einbringen?
Unser Regisseur Julian Mahid Carly brachte eine erste Textfassung zur ersten Probe, die sich dann über den Zeitraum verändert hat. Er war sehr offen und wir konnten in den Proben noch viel mitgestalten. Das spannende war, dass wir eine gewisse Verfremdung brauchten, um das Digitale auf die Theaterbühne ins Analoge übertragen zu können. Und wir waren darin beteiligt, eine Form zu finden und zu schauen, wie diese Verfremdung aussehen kann.

Und wie sieht sie konkret aus?
Bei TikTok oder auch bei Memes gibt es diese Glitches [engl.: Fehler, Störung - Anm. d. Red.]. Also dass das Video sehr stark bearbeitet ist. Zum Beispiel durch Verzerrungen, dass heran gezoomt oder noch ein Wort herausgehoben oder verstärkt wird. Das kombinieren wir mit der körperlichen Form und dem Text.

Journalist Tobias Obermeier mit Schauspielerin Ruth Bohsung im Außenbereich des Schmock.
Wir bringen die Kurzfristigkeit und diesen Konsummodus auf die Bühne. Alles passiert immer parallel und auf einmal.

Theater lebt davon, dass Sprache einen großen Raum bekommt. Das ist auf Social Media kaum der Fall. Die Aufmerksamkeitsspanne wird ja immer geringer. Fand das auch einen Weg in die Inszenierung?
Wir trafen relativ am Anfang die Entscheidung, dass wir gezielt etwas fragmentarisches machen wollen. Wie der Feed von TikTok. Dort gehst du von Video zu Video. Teilweise siehst du nur drei Sekunden und gehst schon weiter. Und dann kommt ein komplett anderes Thema, eine komplett andere Stimmung. Das geht alles sehr schnell. Daher wechseln wir auch sehr schnell in den Haltungen und Themen, die behandelt werden. Wir bringen die Kurzfristigkeit und diesen Konsummodus auf die Bühne. Alles passiert immer parallel und auf einmal.

Ihr spielt ja Influencer*innen, die von Deutschland nach Dubai gehen.
Ja, obwohl Dubai im Stück selbst nicht genannt wird...Das Stück beginnt mit einem Flug nach Dubai.

Aus welchen Motiven reisen sie dahin?
Sie werden von Fata Morgana, einer Marke, eingeladen. Eigentlich ist es so ein Exclusive-Product-Reveal-Brand -Trip. Und eine der beiden Influencer*innen soll das neue Gesicht vom neuen Fata Morgana Produkt werden. Um diese Position konkurrieren die Beiden. Es wird erst im Laufe des Stücks klar, dass letzlich beide als bezahlte Körper für diese Marke fungieren.

Und dementsprechend verkaufen sie ein völlig verzerrtes Bild?
Ja, genau. Das zeigt auch den Konflikt auf, inwiefern dieser Verkaufsprozess kenntlich gemacht wird.

Ruth Bohsung als Influencerin Toni in "Fata Morgana"

Wie wird dabei das Thema Menschenrechte aufgegriffen?
Das wird eher diskursiv aufgegriffen und tatsächlich gar nicht mit einer einseitigen Kritikrichtung, was ich gut finde. Also immer auch in Bezug auf Europa und mit der Hinterfragung einer eurozentrischen Sicht.

Welches Bild hat denn der Eurozentrismus in der Hinsicht?
Sozusagen eine Zweitrennung der Welt, die durch den Kolonialismus entstanden ist und bis heute nachwirkt. Der Orient ist in dem Fall eine Erfindung Europas, um die Vormachtstellung des Westens, die bis heute existiert, weiter am Laufen zu halten. Natürlich gibt es gerade im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit Differenzen. Auch die Feindlichkeit gegenüber queeren Menschen ist ein Problem. Aber wie schnell rutscht man dann wieder in diese westliche Überheblichkeit, bei der alle anderen "unterentwickelt" sind. Meine Figur Toni gibt sich sehr kritisch, tritt aber immer wieder in Fettnäpfchen rassistischer Denkweisen. Es ist absurd, so zu tun, als könnte man von einem Nullpunkt starten. Das werden wir nie können. Geschichte existiert immer in der Gegenwart.

Influencer*innen sind ja auch ein Beispiel dafür, wie schnell politische Positionen vereinnahmt werden können. Wann ist der Punkt erreicht, an dem man sagt, das ist zu viel?
Meine Figur ist ein Beispiel dafür. Sie würde sich als feministisch oder diskriminierungssensibel bezeichnen. Aber ihr Feminismus ist eine Vermarktungstechnik. Und das lenkt den Fokus von wirklich herrschaftskritischen Diskursen ab. Wie müssen Ressourcen neu verteilt werden oder wie kann Macht wirklich dezentraler verteilt werden? Die Kernprobleme werden von meiner Figur dann nicht mehr fokussiert.

Das heißt nicht, dass ein Weichspüler rein muss. Aber Selbstironie ist schon wichtig.

 

Wird dem Publikum eine eindeutige Antwort auf all diese Fragen mitgegeben?
Das Stück öffnet einen Reflexionsraum. Und so ein Theater finde ich spannender, weil es dir nicht die eine Antwort liefert, sondern dich dazu anregt, deine eigene Position zu hinterfragen. Welche Stellung hab ich eigentlich in diesem Diskurs und kann ich mich dem entziehen?

Inwiefern spielt dabei Humor eine Rolle?
Humor ist ein sehr wichtiges Mittel, um empfänglich zu bleiben. Sonst verhärten sich die Positionen und man kommt keinen Schritt weiter. Das heißt nicht, dass ein Weichspüler rein muss. Aber Selbstironie ist schon wichtig. Und das finde ich an dem Stück schön. Dass die diskursive Dichte mit Humor kombiniert wird, um dem Publikum immer wieder eine Einladung zu geben, auch zu lachen und abzuschalten. Und es dann wieder auf die diskursive Ebene zurückholen.

Du bist erst seit dieser Spielzeit am Münchner Volkstheater. Wie nimmst du das neue Haus und das neue Team war?
Ich finde es mega toll. Wir sind sieben Leute, die mit der jetzigen Spielzeit angefangen haben und direkt von der Universität kommen. Ich habe das Gefühl, dass sich an den Universitäten in den letzten Jahren zunehmend eine Politisierung eingestellt hat und viele Schauspieler*innen mittlerweile nicht mehr nur eine ausführende Kraft sein wollen, sondern mitgestalten und mitdenken wollen. Theater ist ja ein einziger diskursiver Raum. Und hier im Haus hat das gerade einen sehr positiven Impact.

Geht da nicht auch eine Erwartungshaltung einher, dass man liefern muss?
Die gibt es immer. Aber Kollegialität, das Interesse am Stoff und unsere Einflussmöglichkeiten - das sind eigentlich die besten Waffen dagegen. Dass man nicht auf sich selbst zurückgeworfen ist und das Gefühl hat, meine eigene Leistung ist entscheidend.

Kollegialität schlägt Leistungsdruck sozusagen.
Auf jeden Fall! Letztendlich ist es meistens eine Angst. Eine Angst, nicht dem zu entsprechen, was ich selber sein möchte. Und die wird befeuert durch Konkurrenz, die dich vereinzeln lässt. Deswegen Kollegialität. Wenn die Konkurrenz nicht zelebriert wird und die Ellenbogen nicht ausgefahren werden, dann bin ich schon nicht mehr alleine.