Florian Lange sitzt auf einem Bett im Scheinwerferlicht.

Schreiben bis zum Ende

Adrian Figueroa adaptiert am Schauspielhaus Düsseldorf Wolfgang Herrndorfs "Arbeit und Struktur" und schafft eine emotionale Hommage an den 2013 verstorbenen Autor.

Text: Lara Osin

Arbeit und Struktur sind zwei überaus wichtige Bestandteile eines in sich stimmigen Lebens, bei dem alles unter Kontrolle ist – oder zumindest zu sein scheint. Arbeit – um sich eine Lebensgrundlage zu schaffen und sich das Leben leisten zu können. Im besten Fall arbeitet man, weil einen das, was man tut, erfüllt, im schlechtesten Fall schlichtweg, um zu überleben. Struktur – gibt einem Halt in einer unzuverlässigen, unbeständigen Welt. Routinen, Terminkalender und Pläne bieten eine Art Schutz vor dieser allgegenwärtigen Unbeständigkeit.

Arbeit und Struktur (c) Melanie Zanin

Doch was, wenn einem mit einem einzigen Wort der Boden unter den Füßen weggerissen wird? Das Leben gleitet einem durch die Finger, man kann es nicht greifen. Es gibt keine Struktur mehr, das Leben hat seinen eigenen Plan gemacht. Hirntumor – zack, all die Pläne sind mit einem mal wertlos, unnütz.

Regisseur Adrian Figueroa hat am Schauspielhaus Düsseldorf Wolfgang Herrndorfs "Arbeit und Struktur" inszeniert, die Fassung hat Robert Koall geschrieben, der bereits Herrndorfs "Tschick" und "Bilder deiner großen Liebe" dramatisiert hat. In seinem Blog-Roman "Arbeit und Struktur" hielt Herrndorf in tagebuchartigen Einträgen seine Gedanken und Gefühle seit der Diagnose seines tödlichen Hirntumors 2010 fest. Die Geschichte des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf ist kurz. Seine Schaffensphase dauerte nicht lang, doch das, was in dieser Zeit entstanden ist, sind Klassiker der neuen deutschen Literatur.

Arbeit und Struktur (c) Melanie Zanin

Zu Beginn füllen glitzernde Lichtspiele den dunklen Zuschauerraum, der Saal verwandelt sich in eine Art Kino; das Gesicht eines Mannes wird an die Leinwand geworfen. Dieser gibt einen Einblick in die Gedankenwelt nach seiner tödlichen Diagnose. Der Mann ist Wolfgang Herrndorf. Er hat Angst, will sich aber nicht beirren lassen, noch ein Buch schreiben. Später sind drei Menschen auf der Bühne: Herrndorf und zwei seiner Romanfiguren, mal Maik und Isa aus "Tschick", mal Figuren aus "Sand". Herrndorfs Leben wird chronologisch wiedergeben. Vom ersten Jahr nach der Diagnose bis zum vierten und letzten Jahr.

Der Abend ist eine emotionale Hommage an Wolfgang Herrndorf, die dem Publikum Lacher entlockt, die teilweise aber im Hals stecken bleiben.

Die Zuschauer*innen bekommen intime Einblicke in Herrndorfs Leben nach und mit der Diagnose. Sie erleben seine Strahlentherapie mit und seinen Alltag. Immer hektischer wird es auf der Bühne, Strobolicht setzt ein, es werden Polaroids gemacht und "Tschick" erreicht 100.000 verkaufte Exemplare in Rekordzeit.

Zahllose MRTs später: Der Hirntumor wächst weiter, man sieht die Fahrt über eine schwarz-weißen Landstraße auf der Leinwand, schließlich heben sich die Wände der Wohnung. Alles, was bleibt, ist das Interior. Herrndorfs Welt löst sich langsam, aber sicher auf. Im letzten Abschnitt werden Texte aus seinem Blog in weißer Schrift auf die ganze Bühne projiziert. Der Abend ist eine emotionale Hommage an Wolfgang Herrndorf, die dem Publikum Lacher entlockt, die teilweise aber im Hals stecken bleiben. 

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Lara Osin (c) Privat

Lara Osin ist 20 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Ulm. Sie studiert Kommunikationswissenschaft an der LMU. Bevor sie nach München gezogen ist, hat sie über 10 Jahre im Freilichttheater in Heidenheim an der Brenz gespielt. Jetzt schreibt sie Artikel bei der Studentenzeitung "Philtrat", vor allem über Kunst und Kultur.