"Eine satirische Show lebt von einer gewissen Grenzverletzung"

Moritz Hürtgen, Autor und Ex-Chefredakteur des Satiremagazins "Titanic", ist seit November 2023 Host der Volksshow. Wir sprachen mit ihm über das Konzept seiner neuen Late-Night-Show, darüber, was gute Satire ausmacht und was er vom Münchner Publikum hält

Interview: Tobias Obermaier

Moritz, hast du heute schon gelacht?
Ja, ich bewege mich gerade auf der neuen Microblogging-Plattform Threads von Meta. Bei Twitter waren ja sehr geübte User unterwegs und bei Threads sind jetzt die ganzen Influencer, die auf einmal auch Texte schreiben und das ist schon sehr verrückt. Darüber habe ich heute gelacht. Ich glaube, weil Elon Musk jetzt Faschist ist und die ganze Plattform an die Wand fährt, hat man sich bei Facebook bzw. Meta gedacht: Wenn von dort alle weg wollen, machen wir einfach eine Alternative auf. Und es funktioniert wohl ganz gut. 

Im November fand die erste Volksshow im Münchner Volkstheater statt. Warum ist ein Besuch lohnenswert?
Als Host dieser Show bemühe ich mich, Leute nach München zu bringen, die hier zum großen Teil sonst nicht auftreten würden. Bei der nächsten Ausgabe am 21. Dezember ist beispielsweise Susi Bumms da. Die ist zwar bereits mit ihrer Band The Screenshots auf der Bühne zu sehen, aber noch nicht als Solokünstlerin. Auch die Kabarettistin Toxische Pommes, die schon eine Größe ist, gab es bisher noch nicht in München. Im Januar kommt Hengameh Yaghoobifarah. Hengameh würde hier wahrscheinlich schon eine Lesung machen. Aber Hengameh hat schon einen großen Namen und zieht ein Publikum. Deswegen kann ich noch den Cartoonisten Hannes Richert dazu nehmen, der fantastisch ist, aber der für eine Sololesung nicht nach München kommen würde.

Moritz Hürtgen bei der ersten Volksshow (c) Andrea Huber
Ich bin eigentlich wie ein Spotify-Algorithmus, der dem Publikum Sachen empfiehlt.
Moritz Hürtgen

Du lädst also immer eine bekannte und eine weniger bekannte Person ein?
Das ist in etwa das Konzept. Man braucht immer jemanden, der ein bisschen Publikum zieht. Ich allein bin das auch nicht. Aber mit so einem Mix kann man dem Münchner Publikum Sachen vorsetzen, die es sonst nicht sehen würde. Und ich habe das Glück, ganz viele Künstlerinnen und Künstler aus meiner Zeit beim Titanic Magazin zu kennen, die an der Schwelle zur Bekanntheit sind, aber noch eine gewisse Radikalität haben. Die will ich alle nach und nach herholen. Ich bin eigentlich wie ein Spotify-Algorithmus, der dem Publikum Sachen empfiehlt.

Verstehst du dich in gewisser Weise als Förderer? 
Nein, überhaupt nicht. Die Leute brauchen keinen Förderer. Ich bin ebenso ein Künstler wie meine Gäste. Bei der Titanic habe ich gelernt, Lesungen zu moderieren und dann hab ich mir gedacht, dass ich das gerne mit Leuten weitermachen würde, die ich total schätze. Meine Gäste fördern sich selbst.

Moritz Hürtgen im Gespräch mit Tobias Obermaier (c) Katharina Öttl

Du arbeitest auch als Autor für TV-Produktionen. Was machst du in deiner Show anders, als das deutsche Fernsehen?
Mir fällt auf, dass beim Fernsehen immer sehr viele Menschen beteiligt sind. Am Ende kommt schon was Gutes dabei raus, aber es ist immer ein riesiger Kompromiss. Bei meiner Show will ich was sehr direktes machen. Am Anfang der Show mache ich zum Beispiel immer einen kurzen satirischen Block, der gar nicht geschliffen ist und über den ich auch nicht viel nachdenke. Also ich will nicht erklären. Ich will nicht den moralischen Witz machen. Ich will mich aber auch nicht so boomermäßig über irgendwelche angeblichen Verbote hinwegsetzen, sondern einfach eine sehr ungefilterte, satirische Art auf die Bühne bringen. Und ich denke, dass das in einer Live-Situation vor echtem Publikum sehr gut klappen kann.

Die Leute hier sind vergnügungssüchtig.
Moritz Hürtgen

Hast du für deine Show irgendwelche inhaltlichen Vorgaben? 
Nein, ich spüre einen wahnsinnigen Vertrauensvorschuss hier vom Volkstheater. Ich finde das fast schon fahrlässig. Ich kann machen, was ich will. Beim ersten Mal hat das sehr gut geklappt und ich bin zuversichtlich, dass es weiter gut klappen wird. Bei vielen Leuten, die im Fernsehen erfolgreich sind, würde mich mal interessieren, wie es wäre, wenn sie einfach ohne große Vorbereitung und ohne große Redaktionssitzung was erzählen würden. Bei der Titanic hatten wir eine monatliche Lesung, bei der auch mal Jan Böhmermann oder Herbert Feuerstein da waren und das war total interessant, was die dargeboten haben. Wir haben denen gesagt, macht, was ihr sonst nicht macht. Macht etwas, was von euch selber kommt. Und das ist jetzt auch in der Volksshow sowohl für mich als Moderator, als auch für die beiden Auftretenden möglich. Ich rede denen gar nichts rein. Ich frag vorher immer ungefähr, was gemacht wird, damit ich danach ein bisschen darauf eingehen kann. Aber von mir gibt es keinerlei Vorgaben und ich bin immer wahnsinnig gespannt, was die machen. 

Gibt es bei dir Grenzen, was man dem Publikum zutrauen kann?
Ich lade Leute ein, die ich gut finde. Da habe ich wenig Ängste, dass ich dem Publikum irgendwas Schlimmes zumute. Eine satirische und komische Show lebt aber von einer gewissen Grenzverletzung und bei Satire sollte man sich nicht immer ganz wohlfühlen. Ich mag kein Publikum, das dasitzt und denkt: "Ja, stimmt, so sehe ich das auch alles."Im Januar kommen ja Hengameh Yaghoobifarah und Hannes Richert, beide aus Berlin. Ich denke, dass so eine geballte Ladung Hauptstadt für München eine ganz schöne Herausforderung sein kann. Horst Seehofer wollte Hengameh schon einmal vor Gericht bringen – und Hannes ist auch komplett wahnsinnig. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.

Welchen Eindruck hast du vom Münchner Publikum?
Als ich noch bei der Titanic war, ist uns schon aufgefallen, dass Süddeutschland und speziell München ein sehr gutes Pflaster ist, wenn man Menschen mit Komik unterhalten will. Die Leute hier sind wahnsinnig vergnügungssüchtig. Sie haben viel Geld und sitzen ständig im Biergarten oder an der Isar rum. Also denen geht es einfach gut und die kann man dann auch gut unterhalten.

Moritz Hürtgen mit seinen ersten Gästen (c) Andrea Huber