"Je mehr man lacht, desto weniger Möglichkeiten gibt es, von den Machthabern unterdrückt und besessen zu werden"

Er gehört zu den bekanntesten Schriftstellern in Belarus. Sein Roman "Revolution" ist derzeit auf der Bühne des Münchner Volkstheater zu sehen. Im Interview spricht Viktor Martinowitsch über Macht, Humor und die Kraft der Literatur.

Autor: Tobias Obermeier

Herr Martinowitsch, wären Sie ein guter Schauspieler auf der Bühne?
Normalerweise sind Schriftsteller die schlechtesten Schauspieler überhaupt. Denn wir erschaffen die Welten, wir spielen sie nicht. Aber ich glaube, dass ich eine Chance hätte. Eines Tages, nachdem ich als Schriftsteller gescheitert bin, werde ich meinen Lebenslauf an das Münchner Volkstheater schicken und sie bitten, mich für eine kleine Rolle zu casten.

Ihr Roman "Revolution", in dem Sie anhand eines Moskauer Geheimbunds von Macht, Gier und die Verführbarkeit des Menschen erzählen, erschien 2021 auf Deutsch. Die Theateradaption feierte letztes Jahr am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Uraufführung. Jetzt ist sie auf der Bühne des Münchner Volkstheaters zu sehen. Was bedeutet es für Sie zu sehen, welche Eigendynamik Ihr Buch entwickelt hat?
Es ist für mich das wahrscheinlich wichtigste Ereignis der letzten Jahre. Gerade in der jetzigen Zeit, in der ich so mitgenommen bin von all den Entwicklungen um mich herum und von meiner Unsichtbarkeit in meinem eigenen Land, in dem ich keinen neuen Roman schreiben, nicht einmal die alten Romane vorstellen oder aus ihnen lesen kann. Es ist gerade wirklich schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das nun hier in Form einer Theateraufführung zu können, ist ein großes Geschenk. Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich hier in München bin, denn ich war zuvor in einer ziemlich deprimierenden Stimmung. Aber als ich die Einladung bekam, fühlte ich mich wieder als Schriftsteller, als jemand, der etwas Neues und Wichtiges erschaffen kann. Das ist also eine wirklich wichtige Sache für mich.

Viktor Martinowitsch (c) Kasia Syramalot
Es ist gerade wirklich schwer an die Öffentlichkeit zu gehen. Das nun hier in Form einer Theateraufführung zu können, ist ein großes Geschenk.

Sie konnten die Inszenierung bereits selbst sehen. Wie wurde in Ihren Augen die sehr komplexe Geschichte des knapp 400 Seiten lange Buchs auf die Bühne gebracht?
Zunächst einmal hat der Regisseur Philipp Arnold eine großartige Aufführung inszeniert. Ich bewundere wirklich die Sprache, die er für die Handlung des Romans gefunden hat. Literatur ist im Theater immer eine sehr komplizierte Angelegenheit, denn sie erzählt uns viel über die inneren Zustände und Gedanken der Figuren. Aber Philipp und sein Team haben mit der Musik, den Videoelementen und auch mit dem Kostüm eine sehr intensive Aufführung geschaffen, ohne die Welt des Romans wortwörtlich darzustellen. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass meine Geschichte in einer anderen Sprache erzählt wurde. Und sie wurde sehr schön und sehr brillant erzählt.

Sie schreiben selbst Theaterstücke. Einige davon sind in Ihrer Heimat Belarus verboten. Gibt es denn demnächst ein Stück von Ihnen zu sehen?
Nein, leider nicht. Wenn sie denn nur den Platz auf einer Bühne bekommen würden. Letztes Jahr unternahm ich meinen letzten Versuch, veröffentlicht zu werden. Ich habe ein sehr lustiges Stück geschrieben. Eine Komödie über die Beziehung eines jungen Dichters zu seinem Tod. Sie ist wirklich frei von jeglicher Politik. Ich habe mein Bestes gegeben. Eines der Staatstheater in Belarus kaufte das Stück und zahlte mich im Voraus. Aber das Stück wurde verboten und sie zwangen mich, den Vorschuss zurückzugeben. Können Sie sich das vorstellen? Das war die Krönung meiner Demütigung. Und weil sie mir den Vorschuss abzüglich der Steuern gezahlt haben, musste ich mehr Geld an den Staat zurückzahlen, als ich im Voraus für das abgesagte Stück erhalten hatte. Das sind die Geschichten, mit denen ich mich gerade befassen muss.

In "Revolution" heißt es angelehnt an Nietzsche: "Den Menschen treibt nicht der Wille zur Macht, sondern der Wille zur Unterordnung." Wie verhält sich diese Beschreibung zu den Beobachtungen und Erfahrungen aus Ihrem eigenen Leben?
Das Thema der Unterordnung ist nicht nur auf Belarus und Russland beschränkt. Die Macht, die immer mit der Unterordnung einhergeht ist in jeder Art von Beziehung zu finden. Und natürlich ist sie in Belarus und Russland viel offensichtlicher. Sie ist viel rauer, härter und bitterer, aber sie ist auch hier in der westlichen Welt vorhanden. Bei einer Passkontrolle ist man etwa jedes Mal mit der Macht des Nationalstaats konfrontiert. Macht ist überall. Sie liegt in der Luft und die einzige Frage ist, ob du bereit bist, dich von ihr verführen zu lassen. Ob du bereit bist, deine Seele als Gegenleistung für die Verlockungen herzugeben, die dir Macht und Dominanz bieten.

Wie gehen die Menschen in Belarus mit ihrer momentanen Situation um?
Es ist sehr schwer, darüber in ein paar Sätzen zu reden. Man hat das Gefühl, dass man der einzige Normale inmitten von Verrückten ist, weil wir keine unabhängigen Medien mehr haben. Wir haben keine selbstbewussten Stimmen mehr. Alles, was man aus dem Internet erfährt, ist Propaganda. Aber ich denke, die meisten Menschen in meinem Land verstehen sehr gut, dass Gewalt etwas sehr Schlechtes ist und dass wir in Frieden und mit guten Beziehungen zu unseren Nachbarn leben sollten anstatt Krieg mit ihnen zu führen.

Ihr erster Roman "Paranoia" wurde 2009 kurz nach Erscheinen in Belarus verboten, alle Exemplare von "Revolution" wurden beschlagnahmt, 2021 saß Ihr Verleger kurzzeitig im Gefängnis. Warum, glauben Sie, lösen Ihre Bücher bei den Machthabern solche Ängste aus?
Wahrscheinlich können Bücher etwas magisches bewirken. Denn der einzige Weg, Werte zu ändern, besteht nicht darin, einzumarschieren und mit Waffen zu agieren, sondern zu versuchen, mit Kultur und Literatur zu arbeiten. Das Wort ist eine der mächtigsten Quellen, um die Werte zu ändern. Ich glaube, das verstehen sie und deshalb haben sie Angst vor Worten.

Der einzige Weg, Werte zu ändern, besteht nicht darin, einzumarschieren und mit Waffen zu agieren, sondern zu versuchen, mit Kultur und Literatur zu arbeiten.

"Revolution" und auch Ihr aktuellstes Buch "Nacht", das vor wenigen Tagen auf Deutsch erschien, bestechen vor allem durch ihren sehr klugen und amüsanten Schreibstil. Fällt es Ihnen angesichts der düsteren Gegenwart schwer, diese Art des Schreibens beizubehalten und nicht in eine Art Fatalismus zu verfallen?
Wenn du schreibst, reproduzierst du dich selbst. Man kann ein Buch nicht beenden, wenn man nicht daran glaubt oder wenn man nicht selbst aus diesem Buch besteht. Ich denke, meine Natur ist die eines lustigen Menschen. Ich lache gerne. Ich lache, um mich über Dinge lustig zu machen, sogar in Zeiten wie diesen. Ich will nicht stumpfsinnig werden. Der Schriftsteller Vladimir Nabokov hat einen wunderschönen Kurzroman mit dem Titel "Einladung zur Enthauptung" geschrieben. In diesem Roman, der in seiner Essenz sehr antitotalitär ist, sagt er, dass der einzige Weg, sich dem Totalitarismus zu widersetzen, das Lachen ist. Je mehr man lacht, desto weniger Möglichkeiten gibt es, von den Machthabern unterdrückt und besessen zu werden.

Ist es für Sie überhaupt noch möglich, angesichts des Krieges und Ihrer Situation in Belarus zu schreiben?
Ich war lange Zeit still. Mein letzter Versuch, veröffentlicht zu werden, war im letzten Jahr, als ich versuchte, mit dem bereits erwähnten Stück über den Tod eines Dichters an die Öffentlichkeit zu gehen. Danach habe ich mir das Schreiben einfach verboten. Warum sollte man sich denn noch die Mühe machen? Aber ich habe mich einfach wieder hingesetzt und geschrieben. Ich arbeite gerade an einem Roman über all die Dinge, die ich in den letzten drei Jahren um mich herum beobachtet habe. Es wird eine sehr realistische Geschichte mit einer sehr starken moralischen Komponente werden.

Viktor Martinowitschs Roman "Revolution" in der Regie von Philipp Arnold ist ab 23. März 2023 im Münchner Volkstheater zu sehen.