Vincent Sauer im Profil fotografiert unter einem Wasserfall

"Wenn man mächtige Bilder hat, ist es auch gut, einen mächtigen Musikapparat zu haben."

Ein Gespräch mit Komponist Beni Brachtel über die Musik bei "hyper" (UA) und übers Improvisieren in der Theatermusik

Interview: Tobias Obermeier

Wie laufen die letzten Proben für die Uraufführung von "hyper"?
Die Technik ist bei dem Projekt sehr aufwendig. Wir haben ein großformatiges Video, das den ganzen Abend durchläuft. Man kann fast schon von einem Langfilm sprechen. Das bedeutet, dass ich eigentlich einen Film vertone. Ich lege meine Musik synchron zum Film an und beides wird mit dem Bühnengeschehen verwoben. Die Musik klinkt sich immer wieder ein und aus. Ich habe bereits alles komponiert und aufgenommen. Momentan bin ich mit der Verwaltung und Organisation der Musik beschäftigt. Wann sind die Einsätze, wie lange bleibt sie? Das ist die Arbeit, die für mich in den Endproben wichtig ist.

Das heißt, die Musik ist schon komplett aufgenommen?
Am Theater weiß man nie so genau, was in den Endproben noch passiert. Man würde sich in die Tasche lügen, wenn man vorab schon einen fixen Plan macht. Es kann alles passieren. Das ist ja auch das Schöne an der Theaterarbeit – dass bis zuletzt alle Gewerke angehalten sind zu schauen, wie alles noch optimiert werden kann. Obwohl wir vorab das ganze Videomaterial gedreht haben und eigentlich seit Wochen klar ist, was auf der Ebene gezeigt wird, verändert sich auf der Textebene und szenisch ständig alles. Dementsprechend agil muss man bleiben. Deswegen kann ich das vielleicht gut vorbereiten, aber nicht vollständig.

© Gabriel Wolf
Der Darsteller ist sowas wie eine Membran zwischen dem Publikum und dem Geschehen im Film, weil er gleichzeitig Zuschauer und Akteur ist.

Wie sieht das Zusammenspiel von Video und Schauspiel konkret aus?
Auf der Videoebene wird ein Darsteller in einer Sequenz mit dem Tod konfrontiert, der bei ihm eine Naturerfahrung auslöst. Dieser Erfahrung möchte er nachspüren und verlässt dafür seinen Zivilisationskontext. Inwiefern ihm das gelingt, ob es etwas Ursprüngliches gibt oder ob es nur unser kitschiges Bild von einem Naturereignis ist, das bleibt offen. Es geht aber nicht nur um den Darsteller auf der Leinwand, sondern auch um denselben Darsteller auf der Bühne, der sich auf der Leinwand wahrnimmt und sowas wie eine Membran zwischen dem Publikum und dem Geschehen im Film ist, weil er gleichzeitig Zuschauer und Akteur ist. Und das ist ein sehr witziges Ping-Pong. Das macht nochmal eine Extraebene auf.

Und welche Rolle spielt dabei die Musik?
Der Darsteller versucht sich in dem Naturgeschehen selbst einzuordnen: es als eine gewisse Einflussgröße zuzulassen, als etwas Absurdes oder Beängstigendes. Und genau die Mittel hat die Musik auch. Du hast ein Bild von einem Alpenpanorama und entweder ich mach das Panorama noch mächtiger als es schon ist. Oder ich mach es angsteinflößend oder kitschig. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man mit Musik auf das Setting reagieren kann.

Die Orgel ist ein sehr breit gefächertes Instrument, mit dem man sehr viel machen kann.

Bei der Inszenierung arbeitest Du viel mit der Orgel. Warum hast Du dich dafür entschieden?
Relativ am Anfang einer Produktion steht immer die Frage: Für welche Instrumente komponiere ich? Dass ich mich für die Orgel entschieden habe, ist eine Bauchentscheidung gewesen, die sich aber ganz gut bewährt hat. Man hat ja bei der Orgel ähnlich wie beim Orchester einen sehr raumfüllenden Klang, der durch alle Register wandert und das komplette hörbare Spektrum abdeckt. Die Orgel ist ein sehr breit gefächertes Instrument, mit dem man sehr viel machen kann. Ich wusste, es wird sehr eindrucksvolle Landschaftsbilder und eine sehr immersive Szenerie geben. Und wenn man mächtige Bilder hat, ist es auch gut, einen mächtigen Musikapparat zu haben, der dem auch was entgegenhalten kann.

Wie ist es für Dich, das erste Mal am Münchner Volkstheater zu arbeiten?
Ich find es sehr toll, als Außenstehender in diese Aufbruchsstimmung reinzuplatzen. Die Menschen hier sind total motiviert, ihr Volkstheater auf die nächste Ebene zu hieven. Die Produktion von uns ist ja auch eine sehr untypische Produktion für ein Theater, da wir mit sehr viel Video arbeiten. Uns diesen Vertrauensvorschuss zu geben, dafür bin ich schon sehr dankbar.

© Gabriela Neeb

Du bist musikalisch in vielen Bereichen unterwegs. Du arbeitest als DJ, hast Jazz studiert und machst viel für die Bayerische Staatsoper. Was fasziniert Dich besonders an der Arbeit am Theater?
Das Schöne am Theater ist, dass die Musik immer im Kontext stattfindet und es immer Themen und Narrative gibt, mit denen man sich auf der eigenen künstlerischen Ebene auseinandersetzen muss. Dass ich mir überlege, was kann ich mit der Musik anstellen. Dass man zum Denken angespornt wird und man mit der Musik ein Vehikel schaffen kann, mit dem man auf einer ganz anderen Ebene agiert. Und das hält mich am Theater. Es ist dabei sehr hilfreich, wenn man vielseitig ist, weil ja jede Produktion anders ist. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich überall Fuß gefasst hab.

Kommt Dir dabei auch deine Ausbildung und das Improvisieren im Jazz zugute?
Total! Den Intellekt ausschalten und einfach nur frei assoziativ arbeiten. Dass dieser Zustand so routiniert auf Knopfdruck kommen kann, ist natürlich die Arbeit von vielen Jahren. Dass man ihn mit Leichtigkeit erreicht. Auch unter Zeitdruck. Dass man aus der Ruhe heraus agiert. Das ist die improvisierte Musik. Da geht es darum, dass man einen ganzen Haufen an Entscheidungen trifft und dass einem das nicht viel abverlangt, sondern Spaß macht.

Sozusagen in jeder Sekunde entscheiden, was in der nächsten passiert?
Jede nächste Sekunde ist schon eine zu spät. In Echtzeit einfach so durchfließen. Das ist etwas sehr Schönes.